Günther Escher blickt durch ein selbst gebautes Wagenrad.

Altes Handwerk: Der Wecker war ein Hammerschlag

Altes Handwerk: Der Wecker war ein Hammerschlag auf die Treppe

Günther Escher aus Röttersdorf wird rückblickend über sein Leben berichten und seine Meinung zu den heutigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen äußern. 

Herr Escher, sie haben den Beruf des Stellmachers, ein altes Handwerk, in Leutenberg erlernt. Es gibt den bekannten Ausspruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Trifft dieser auch auf Ihre Lehrzeit zu?

Morgens klingelte uns nicht der Wecker wach. Das Signal zum Wecken gab der Meister, bei dem ich in Kost und Logis stand, indem er mit einem Hammer kräftig auf die Treppe zum Obergeschoss schlug. Hier hielten wir Nachtruhe. Nach dem Waschen und Anziehen traten wir unverzüglich unsere Arbeit um 07:00 Uhr an. Frühstück gab es später. Der Arbeitstag ging dann bis 19:00 Uhr. Die Lehre hatte ich mit vierzehn Jahren begonnen, also 1943. Alle zwei Wochen fuhr ich auf die Berufsschule nach Saalfeld. Leicht war diese Zeit natürlich nicht. Zu heute ist das kein Vergleich.

In Ihre Lehrzeit dieses alten Handwerks fiel dann ja das Kriegsende 1945. Wie haben Sie das erlebt?

Am 13. April 1945 kamen die Amerikaner. Von da an bin ich nicht mehr nach Leutenberg gegangen. Ich habe die Lehre abgebrochen. Im Oertelsbruch absolvierte ich das noch fehlende dritte Jahr und erhielt meinen Gesellenbrief als Stellmacher.

Gerade im Oertelsbruch war die Zeit nach dem Krieg ja hoch interessant. Sind Sie auch mit den V2 Waffen in Berührung gekommen?

Nein, wir haben später, 1947, lediglich bei der Demontage mitwirken müssen. Hauptsächlich lag unser Arbeitsschwerpunkt bei der Herstellung von Kisten, Instandsetzung von Wagen, den Bau von Geländern, Fenstern und Türen. Als Männer in der Schieferproduktion gebraucht wurden, mussten wir unsere Werkstatt verlassen und in der Spalthütte arbeiten. Das gefiel mir und meinem Kollegen nicht. So haben wir uns dann eine neue Anstellung gesucht. Ich baute von da an für die damals in Oßla ansässige Firma Jahn in Lehesten dreiteilige Spielkommoden in zwei Größen. In dieser Zeit haben wir dann auch unser Haus aufgestockt.

Bauvorhaben waren ja in der damaligen Zeit für Privatleute schwierig. Einerseits fehlte es ja ständig an Material und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche, wie zum Beispiel die Bodenreform, brachten vollkommen neue Strukturen. Wie haben Sie diese Zeit gemeistert?

Nach unserer Hochzeit 1953 zogen wir mit meinen Schwiegereltern aus dem oberen Dorf in unser jetziges Haus. In diesem wohnte damals eine Tante meiner Frau. Die Platzverhältnisse waren sehr bescheiden. So entschieden wir uns das Gebäude aufzustocken und eine Scheune zu errichten. Zudem erwarben wir ein anliegendes Grundstück. Wald und Acker waren damals noch in Privatbesitz. So konnten wir das Bauholz 1954 einschlagen. Das war großes Glück, denn nur wenige Jahre später sollte die Waldbewirtschaftung auf staatlicher Basis erfolgen. Die Scheune errichteten wir aus dem Baumaterial einer alten,  aus dem oberen Dorf abgebauten Scheune. Der gesamte Ausbau war rückblickend eine seltsame Zeit und enorm arbeitsintensiv. Viele Arbeiten erledigten wir selbst. Einem Kollegen, der Zimmermann war, habe ich meinen Jahresurlaub abgetreten, sodass dieser zwei Wochen an unserem Haus arbeiten konnte. Als wir mit dem Abriss begonnen hatten, das Haus hatte bereits kein Dach mehr, hat es eine Woche lang geregnet. Und regulär arbeiten musste ich ja auch noch. Das übrige Baumaterial zu bekommen, war ebenfalls nicht einfach. Vieles war nicht erhältlich. Die ersten Dachrinnen hackte ich mit dem Dechsel aus dreizehn Meter langen Stämmen selbst. Wenn man Zement benötigte, stellte man sich bereits zwei Stunden vor Ladenöffnung an, nur um dann gesagt zu bekommen, dass es keinen mehr gäbe. Krumme Nägel wurden noch lange nach dem Krieg nicht weggeworfen, sondern wieder gerade geklopft. Mit dem Hausausbau und Errichten der Scheune haben wir dann eine gute Grundlage für unsere kleine Landwirtschaft geschaffen. Es war zur damaligen Zeit normal eine kleine Landwirtschaft zu haben. Fast jeder Handwerker, oder besser gesagt, fast jede Familie versorgte sich zu dieser Zeit zu einem nicht unerheblichen Teil selbst. Das war gerade in diesen wechselhaften Umständen wichtig. 

Im aufgestockten Haus hatte nun mein Schwiegervater, der Schuhmacher war, seinen eigenen Arbeitsraum. Schwiegermutter wirkte nach der Bodenreform in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Meine Frau nähte in Heimarbeit. 1956 wurde unser Sohn Bernd geboren. 

Aus meiner Anstellung in Lehesten wurde ich wenig später entlassen, weil dem Unternehmen nicht mehr genug Holz als Rohstoff zugeteilt wurde. Noch am gleichen Tag der Kündigung fuhr ich auf meinem Fahrrad nach Schmiedebach in den Oertelsbruch. Nach einem Gespräch mit dem Meister stand fest, dass ich sofort wieder beginnen konnte. Hier arbeitete ich dann auch unter Tage, teils auch im Produktionsbetrieb. 

1958 erwischte mich eine schwere Gelbsucht. Über ein Jahr war ich nicht arbeitsfähig. Danach konnte ich dieser schweren Arbeit nicht mehr nachgehen. Man steckte mich in die Arbeitsnormung. 

Schwarz-Weiß-Fotografie von Günther Escher. Der Stellmacher wuchs im Thüringer Schiefergebirge auf.
Günther Escher auf seine selbstgebaute Kreissäge gestützt, blickt skeptisch in die Zukunft.

Das war sicherlich eine starke Umstellung. Außerdem änderten sich ja die Arbeitsbedingungen und Umstände im Oertelsbruch in den vorangegangen Jahren bereits. Der Wechsel vom Privatunternehmen ins Volkseigentum führte zu allerhand Veränderungen. Wie wirkte sich das auf die Arbeit aus?

Vieles änderte sich. Die Fixierung auf den Export brachte nicht nur Verbesserungen. Besonders aufgefallen war mir der häufig nicht sorgsame Umgang mit dem Rohmaterial. Im noch eigenständigen Betrieb sagte man, auch aus einem handgroßen Stück Schiefer kann noch ein Produkt entstehen. Ebenso achtete man mehr auf die minderen Qualitäten, aus denen man zum Beispiel noch Reparaturschiefer herstellen konnte. Diese Bestrebungen traten nach dem Übergang ins Volkseigentum zunehmend in den Hintergrund. Nach den Grubenunglücken in Lehesten wechselte mein Arbeitsplatz nach Unterloquitz. Hier war ich jeden Tag inklusive Hin- und Rückfahrt zwölf Stunden unterwegs. Zu meinem Arbeitsbereich zählte jetzt die wissenschaftliche Arbeitsorganisation, kurz WAO. Hier erstellte ich Zeitaufnahmen bis hin zu kompletten Mehrtagesstudien. Für mich war das keine schöne, befriedigende Arbeit. Zumal die gesamte Normierung und die daraus erstellten Vorgaben nicht wirklich real waren. Häufig konnten Normen gar nicht eingehalten werden, weil den Arbeitern die technische Ausstattung fehlte. Mal waren es Bohrkronen, mal war nicht genug Druckluft vorhanden und so weiter. 

Ich war dann sehr froh, als ich 1989 meine fünfzehn Untertagejahre voll hatte. Denn mit diesen Jahren war es möglich, mit sechzig in Rente zu gehen. Und so war das Jahr der politischen Wende auch das Jahr meiner persönlichen. Von da an war ich Rentner.

Wie erlebten Sie dann den politischen Umbruch?

Ich war zu dieser Zeit schwer krank, hatte also nicht wirklich Zeit und Energie mich mit der neuen Gesellschaftsordnung zu beschäftigen. Was ich aber sehr schnell begriffen hatte, war die Tatsache, dass nicht mehr an die Mitmenschen gedacht wurde und wird. Es zählt vielmehr der Profit und es gibt genug Leute, die sehr emsig sind, gerade uns alten Menschen den letzten Pfennig aus der Tasche zu ziehen. 

Günther Escher prüft einen Rohling.
Der Rohling wird vor dem Zusägen mit der Bandsäge geprüft.

Werfen Sie einen Blick auf die heutige Situation. Was fällt Ihnen da auf?

Die Welt wird täglich immer verrückter! Krisen überall: auf dem Balkan, Nordafrika und in Nahost. Ich halte es für sehr gut möglich, dass wir auch hier in Kerneuropa solche Zustände haben werden. 

Unser Geld wird immer weniger wert. Die Löhne sind hier zu niedrig. Früher schaute man, dass die Arbeit nah bei den Menschen war. Heute müssen sie teilweise stundenlang pendeln. All das ist schlecht organisiert. Aber es geht ja immer zu Lasten des kleinen Mannes. Man kann keine Kuh melken, der man nichts zu fressen gibt.

Wenn Sie nach 87 Lebensjahren in unsere Zukunft blicken, gibt es vielleicht einen Rat, eine Empfehlung, die Sie uns mitgeben möchten?

Ich kann nur allen jungen Menschen eines sagen: Seid alle froh, wo ihr jetzt steht und seid glücklich über all das was ihr hier habt! Ich wünsche niemanden, dass er solche Zeiten, wie wir sie während des Weltkrieges und danach erlebten, durchleiden muss.

 

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